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Der Weinstock, der zum Baum des Kreuzes wurde

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2024-05-01

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Faszinierend! Faszinierend und verstörend zugleich ist das heutige Evangelium. Faszinierend, weil es mit einem wunderschönen Bild arbeitet. Vor meinen Augen taucht ein Weinberg in bester Lage auf. Weinstöcke an Weinstöcke soweit das Auge reicht. Die Reben – noch ganz frisch – strecken sich der Sonne entgegen. Und dann? Dann kommen die Trauben. Und das Bild verändert sich. Die Aufmerksamkeit gilt nun den reifenden Trauben, dann dem frischen Wein.

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Kein Wunder also, dass die Themen des Weinbergs und des Weines wiederholt in der biblischen Überlieferung vorkommen. Das wunderschöne Lied vom Weinberg bei Jesaja spricht von der Liebe Gottes zu seinem erwählten Volk, das durch den Weinberg symbolisiert wird. Es ist eine Liebe, die den Weinberg hegt und pflegt. Im „Hohen Lied“ wird der Weinberg zum Ort des Liebesgenusses der aufeinander verrücktgewordenen jungen Liebenden.  Und eine Riesentraube wird von den zwei Kundschaftern auf einer Stange aus dem Gelobten Land in die Wüste gebracht: zum Beweis, dass das Land, zu dem man unterwegs ist, wunderbar ist.  Und dann der Wein! Von den etwa 600 Litern, die Jesus dem ratlos gewordenen jungvermählten Paar in Kana in Galiläa schenkt, bin hin zur Vision der himmlischen Vollendung, in der die besten Weine getrunken werden reicht die Bildergalerie zum Thema: Das Wunder des Lebens mit Gott. Religion und Lebenslust gehen bei den Bildern vom Weinberg und Wein Hand in Hand. Kein Wunder also, dass auch Jesus der Sprache seiner Verkündigung mit dem Bild des Weinbergs und des Weines zur Eindeutigkeit verhilft. Er sei der Weinstock und wir die Reben. Deswegen sollen wir bei ihm bleiben, bleiben des Lebens wegen und der Lust am Leben. Das Bild vom Weinstock und den Reben sei demnach durchaus ähnlich dem von den Schafen, die bei dem guten Hirten bleiben sollen (die Metapher, die wir am letzten Sonntag gehört haben).

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Mit dieser Deutung wird allerdings die Radikalität des heutigen Bildes noch nicht erreicht, eine Radikalität, die uns alle herausfordert, oder gar verstört. Und warum dies?

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Er ist der Weinstock und wir die Reben. Jesus und wir bilden also eine einzige Pflanze, eine Pflanze, in der alles Leben vom Saft abhängt, vom Saft, der aus der Wurzel kommt. Wird die Rebe vom Weinstock getrennt, verdorrt sie; sie stirbt ab. Wir sind halt ein Teil eines größeren Organismus, leben damit vor allem aus den Kräften, die uns unverdientermaßen zugutekommen. Das Bild verstört, weil es zuerst der alltäglichen Wahrnehmung der Bedeutung unseres eigenen Ichs widerspricht, unsere Denkgewohnheiten in Sachen unserer Freiheit in Frage zu stellen scheint, aber auch die moralisierenden Appelle:  „wir und nur wir sollen das und jenes tun, denn auf unsere Verantwortung kommt es an; einzig und allein!“: das Bild des heutigen Evangeliums verstört, weil es dieses Denken der aufgeklärten Moderne gegen den Strich bürstet und auch eines betont: radikale Autonomie des Subjektes sei ein gefährlicher Trugschluss, selbstbestimmtes Leben von Geburt bis zum Tod letztlich eine Illusion! Wir sind ein Teil eines größeren Organismus.

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Das Bild verstört aber auch, weil es das moderne Missverständnis der Religion in Frage stellt. Religion sei demnach nichts anders als eine fromm getünchte Ethik, deswegen komme es nur auf das Tun, auf die guten Werke an, Werke, mit denen wir Jesus beschenken sollen. Überraschenderweise fordert Jesus im heutigen Evangelium nicht dazu auf, Frucht zu bringen. Das Bild des Weinstocks spricht eine andere Sprache. Fruchtbringen ist keine autonome Entscheidung einer Rebe. Mehr noch: Früchte wachsen ohne Entscheidung und auch ohne Zutun an einer Rebe. Jesus fordert deshalb wiederholt (und dies acht Mal in unserem Text) „nur“ dazu auf, am Weinstock zu bleiben, in enger Verbindung also mit ihm selbst zu leben. Diese Verbindung mit Jesus allein wird die Jüngerinnen und Jünger schon zum Fruchtbringen führen. Die hl. Teresa von Ávila hat diese Logik bekanntlich auf eine Kurzformel gebracht: „Sólo Dios basta“ – Gott allein genügt. Am Weinstock bleiben genügt– alles andere kommt quasi von allein. So weit so gut.

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Und was geschah damals tatsächlich? Gemäß dem biblischen Szenario haben die Jünger diese enge Verbindung an den Weinstock gekappt. Sie sind weggerannt, haben Jesus gar verraten. Sind so zu jenen Reben geworden, die vom Lebensstrom der Wurzel getrennt nur noch vertrocknen können. Doch – und das ist die alles entscheidende Kehrtwende – der wahre Weinstock, der durch die menschlichen Entscheidungen aller Reben beraubt wurde, nahm die Gestalt des Kreuzes an. Der menschgewordene Sohn Gottes verbrannte also nicht die vertrockneten Reben und die abgestorbenen Zweige, sondern ließ sich auf die Konfrontation mit all den tödlichen Mächten ein, die dieses Trennen der Reben provozieren, es beeinflussen, oder gar erzwingen. Und dies in jenem Weinberg, der sich über gesamte Weltgeschichte erstreckt. Der menschgewordene Sohn Gottes ließ sich also auf die Konfrontation mit all den Mächten des Bösen ein, die den Boden des Weinbergs austrocknen, ihn auch dürr machen, ihn gar zu einer Wüste verwandeln. Durch Angst, Durst, Schmerzen und das Gefühl der Gottverlassenheit hindurchgegangen, litt Jesus all die Konsequenzen durch, die eine von Menschen gekappte Verbindung zum wahren Weinstock mit sich bringt. Durch sein Kreuz und seine Auferstehung, durch das Geschenk der Mitteilung seines Geistes ist der menschgewordene Sohn Gottes aber uns allen innerlicher geworden, als wir es selber uns je werden können. So gesehen, nichts: aber gar nichts vermag uns von diesem Weinstock trennen. Den er lebt nun in uns, erfreut sich des Lebens mit uns und er leidet mit uns. Er erleidet gar unseren Verrat an ihm. Paulus hat diese Logik auf die Kurzformel gebracht: Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.

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Liebe Schwestern und Brüder, diese Bindung, – lateinisch  diese religio – beschenkt uns alle mit jenem Saft, der aus der Wurzel kommt und uns allen und auch der ganzen Menschheit das Leben in Fülle ermöglicht. Es ist deswegen allzu logisch, dass in der Eucharistiefeier, in der die Logik dieser einmaligen Gegenwart symbolisch verdichtet wird, dass da der Wein eine zentrale Rolle spielt. Verstörend ist das heutige Evangelium. Verstörend, aber deswegen auch faszinierend! 

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